Zügig über das Wasser gleiten, sich den Wind um die Nase wehen lassen – das genießen Segler. Dabei gibt es immer viel zu tun. Die Segel nach dem Wind ausrichten, auf andere Boote achten, wenden. Segeln ist ein komplexer Sport – und genau das macht ihn als Therapiemaßnahme so erfolgreich.
Prof. Christina Groll ist studierte Physiotherapeutin und passionierte Seglerin. Für sie lag es auf der Hand, beide Leidenschaften zu verbinden. „Vor allem in Skandinavien gab es bereits durch Physiotherapeuten angeleitete Segel-Angebote für Menschen mit Behinderung, aber es stand noch kein richtiges Therapiekonzept dahinter.“ Das wollte sie entwickeln und beschäftigte sich sowohl in ihrer Masterarbeit als auch bei ihrer Promotion mit dem Thema. Seit mehreren Jahren bietet sie das therapeutische Segeln „physiosail“ in Kooperation mit dem Segel-Club Münster und dem Verein zur Förderung der Segeltherapie an – und richtet sich damit unter anderem an Schlaganfall-Betroffene.
Konzept des therapeutischen Segelns
Das Konzept: Innerhalb einer Woche geht es vier Tage lang aufs Wasser. „Und zwar alleine“, wie Groll betont. Sie beobachtet die Segler vom Ufer aus und steht über Funk mit ihnen in Kontakt. Ein Motorboot steht zur Sicherheit bereit, ohnmachtssichere Schwimmwesten sind Pflicht – auch wenn diese nie zum Einsatz kommen. „Wir haben spezielle Boote, die zum einen nicht umkippen können und zum anderen genau auf die Bedürfnisse der Menschen mit Körperbehinderung eingestellt werden“, erklärt die Expertin. So ist Segeln nicht nur für Menschen mit Lähmungen möglich, sondern auch mit Neglect oder Gesichtsfeldausfällen. Christina Groll verlangt viel von den Teilnehmern, aber nie zu viel. Als Physiotherapeutin kann sie einschätzen, wie viel sie jedem Einzelnen zutrauen kann. „Die Teilnehmer sollen an ihre Grenzen gehen, aber selbstverständlich Erfolgserlebnisse haben, keinen Frust.“
Intensive Therapie bringt Erfolge
Der Erfolg stellt sich meist schnell ein, sowohl auf dem Boot als auch im Alltag. Vor Kurzem erzählte eine Schlaganfall-Patientin ihr, dass sie mit der betroffenen Hand Weintrauben genascht habe. „Das Besondere: Sie hatte ganz nebenbei nach den Weintrauben gegriffen, während sie mit der gesunden Hand die Computer-Maus bediente. Ganz ohne darüber nachzudenken. Vor dem Segeln sei das nicht möglich gewesen, weil das Greifen eine enorme Konzentrationsleistung erfordert hat.“ Viele können nach der intensiven Woche auch besser laufen. Groll führt die Erfolge darauf zurück, dass beim Segeln besondere Muskelgruppen gefordert und komplexe Handlungsabläufe nötig sind. „Die Menschen wachsen über sich hinaus und probieren mehr aus als im Alltag“, ist ihre Erfahrung. „Die Woche ist für sie intensiv, anstrengend und schön zugleich.“
Wer in der Umgebung von Münster wohnt, kann nach der Therapiewoche auf dem Aasee weitersegeln, ein weiteres Projekt in Hannover befindet sich derzeit im Aufbau. Christina Groll hofft, dass in Zukunft noch weitere Standorte dazukommen. Sie würde gerne noch mehr Therapeuten ausbilden, die ihr Hobby Segeln mit dem Beruf verbinden möchten.
Segeltherapie-Wochen werden über den Verein zur Förderung der Segeltherapie e. V. finanziert und in Kooperation mit dem Segel-Club Münster angeboten, sodass für die Teilnehmer keine zusätzlichen Kosten für die Therapiestunden entstehen.
Weitere Information gibt es in Kürze im Internet: www.physiosail.de
„Therapie mal anders“ stellt Therapiemethoden vor, die nicht immer wissenschaftlich belegt sind, aber von Schlaganfall-Betroffenen häufig als hilfreiche oder angenehme Ergänzung zu den klassischen Therapien empfunden werden.