Im Interview
Judith Schmitz
Abteilung Soziales beim Kreis Gütersloh
Jede Stadt oder Gemeinde des Kreises hat im Rathaus eine trägerunabhängige Beratungsstelle für pflegebedürftige Menschen und deren Angehörige. Etwa 3000 Menschen suchen dort pro Jahr Rat. Judith Schmitz erzählt, was diese Menschen bewegt.
Ein Angehöriger hat einen Schlaganfall und plötzlich tauchen ganz viele Fragen auf. Wohin wende ich mich?
Das ist in der Tat eine Besonderheit: Der Schlaganfall verändert alles von einem Moment auf den anderen. Die Erfahrung habe ich selbst auch in meiner Familie gemacht. Bei vielen anderen Erkrankungen, etwa Demenz, muss nicht alles von einem Tag auf den anderen geregelt werden. Bei Schlaganfällen ist der erste Ansprechpartner meist der Sozialdienst im Krankenhaus. Aber auch zu unseren Beratungsstellen kommen Angehörige oft schon während der Schlaganfall-Betroffene noch im Krankenhaus ist.
Wann ist denn der richtige Zeitpunkt, sich Beratung zu suchen?
Es ist immer gut, sich früh einen Überblick zu verschaffen, was ich wo beantragen kann und wer was bezahlt. Trotzdem ist es gut möglich, dass danach noch weitere Beratung sinnvoll ist. Bei Schlaganfall-Betroffenen steht am Anfang meist noch gar nicht fest, welche Fortschritte sie in der Reha machen werden und welche Unterstützung später tatsächlich nötig ist.
Und wo finden Angehörige die richtige Beratung?
Zum einen ist die Pflegekasse gesetzlich verpflichtet, eine Beratung anzubieten, wenn jemand einen pflegebedürftigen Angehörigen hat. Ich kann jedem nur raten, in seinem Rathaus bei der Pflegeberatung nachzufragen. Dort kann man zum Beispiel im Kreis Gütersloh auch den Leitfaden für pflegende Angehörige erhalten oder im Internet unter www.pflege-gt.de. Darin sind auch viele Informationen enthalten, die nicht nur für Interessiere aus unserem Kreis relevant sind. Die Beratung ist in Deutschland überall etwas anders organisiert. Neben den Beratungsstellen von Städten und Gemeinden gibt es zahlreiche weitere Angebote zur Entlastung der pflegenden Angehörigen, unter anderem von Wohlfahrtsverbänden.
Was sind die häufigsten Fragen?
Als erstes muss meistens neben der Finanzierung geklärt werden, welche Hilfen gibt es und wo kann ich sie beantragen. Die Hilfen können sehr vielfältig sein und zum Beispiel den Wohnungsumbau, die Versorgung mit Hilfsmitteln oder die Auswahl des Pflegedienstes betreffen. Dann geht es häufig um die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Aber auch: Wie suche ich einen guten Pflegedienst aus? Und wann ist der Punkt erreicht, an dem der Betroffene besser in einer Einrichtung versorgt wird? Besonders in solchen Fällen schauen die Mitarbeiter sich die Situation auch schon mal zu Hause an, um sich ein besseres Bild machen zu können. Für uns gilt immer: ambulant vor stationär. Deswegen möchten wir die pflegenden Angehörigen so gut wie möglich unterstützen.
Welchen Tipp haben Sie für die Angehörigen?
Angehörige wollen auf die Bedürfnisse des Pflegebedürftigen eingehen und der Situation gerecht werden. Sie dürfen dabei aber nicht vergessen, auch an sich selbst zu denken. Das ist eine sehr schwierige Gradwanderung. Wichtig ist: Nur ein gesunder Angehöriger kann die Pflege sicherstellen. Deswegen müssen sich die Pflegenden sich unbedingt Freiräume schaffen. Dafür kann zum Beispiel ein ehrenamtlicher Besuchsdienst kommen oder man kann sich in einer Selbsthilfegruppe mit anderen pflegenden Angehörigen austauschen.
Die Menschen werden älter und entsprechend mehr Pflegebedürftige wird es in Zukunft geben. Welche Entwicklung erwarten Sie?
Die Welt wird bunter. Ich denke, dass sich auch die Pflege nach und nach daran anpassen und viel differenzierte Angebote schaffen muss. Ein 50-jähriger Schlaganfall-Betroffener möchte wahrscheinlich nicht im Pflegeheim mit 80-Jährigen untergebracht werden. Die Menschen haben unterschiedliche kulturelle Hintergründe, auf die Rücksicht genommen werden sollte. Außerdem haben wir die erste Generation von Menschen mit Behinderung, etwa Trisomie 21, die alt wird. Da gibt es bisher kaum Erfahrungswerte. Ich hoffe, dass sich in dieser Hinsicht noch viel tun wird – schließlich sind die Menschen im Alter genauso bunt.