Im Interview
Privatdozent Dr. Lars Kellert
Oberarzt an der Universitätsklinik München
Herr Dr. Kellert, wie viele junge Menschen sind eigentlich von einem Schlaganfall betroffen?
Da gehen die Zahlen etwas auseinander, weil der juvenile Schlaganfall – so nennen wir Schlaganfälle bei jüngeren Menschen – nicht einheitlich definiert ist. Wir gehen in Deutschland von 30.000 Betroffenen unter 55 Jahren pro Jahr aus.
Das ist eine große Altersspanne...
… die man in der Betrachtung sicher noch mal differenzieren sollte. Die klassischen juvenilen Schlaganfälle sind die unter 40-Jährigen ohne erkennbares Risiko. Im Altersbereich Mitte 40 bis Mitte 50 haben wir Patienten, die schon die ersten kardiovaskulären Risikofaktoren haben.
Damit meinen Sie die lebensstilbedingten Schlaganfälle?
Richtig, gemeint sind Lifestyle-Faktoren wie Bewegungsmangel, Rauchen, Fehlernährung. Und die teilweise dadurch mitbedingten chronischen Erkrankungen Diabetes, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen. Die spielen bei jungen Menschen fast keine Rolle.
Welche Ursachen sind es dann?
Zum Beispiel eine sogenannte spontane Gefäßdissektion einer Halsarterie. Durch eine kleine Verletzung kommt es zu einem Einriss in der Gefäßinnenwand. Es bildet sich ein Wandhämatom, das zu einer Engstelle oder sogar einem Gefäßverschluss führt. Diese Patienten sind oft Mitte 40 oder jünger, im höheren Lebensalter sind solche Dissektionen eine Rarität.
Kommt das häufig vor?
Es ist eine seltene Erkrankung, aber bei den juvenilen Schlaganfällen sehr relevant. Wir gehen davon aus, dass 15 bis 25 Prozent der juvenilen Schlaganfälle durch diese Dissektionen entstehen. Andere seltenere Ursachen sind zum Beispiel Gerinnungsstörungen, die im höheren Alter praktisch auch keine Rolle mehr spielen.
Lassen sich diese Ursachen immer finden?
Leider nicht. Es gibt viele Patienten, die liegen drei oder mehr Tage auf der Stroke Unit, durchlaufen das komplette diagnostische Programm, doch am Ende findet man tatsächlich nichts. Diese Rate ist sehr, sehr hoch. Sie liegt mindestens bei 30, manchmal sogar bei 50 Prozent.
Welche Empfehlungen können Sie diesen Patienten geben? Das ist doch beängstigend...
Genau das ist es im Grunde nicht. Das ist wichtig, den Patienten zu erklären. In der Regel wollen sie die Ursache für ihren Schlaganfall wissen, das ist ihnen ganz wichtig. Wenn man aber keine eindeutige Ursache findet, ist das Wiederholungsrisiko wesentlich geringer. Sie müssen zwar lernen, mit dieser Unsicherheit zu leben, aber im Prinzip ist das die bessere Nachricht. Findet man eine definitive Ursache, beispielsweise eine Veränderung an den Herzklappen, muss man sich möglicherweise einer Operation unterziehen und lebenslang eine starke Blutverdünnung einnehmen. Das ist definitiv die ungünstigere Variante.
Insgesamt ist die Rezidivrate, also die Gefahr, einen wiederholten Schlaganfall zu erleiden, bei jüngeren Patienten niedriger.
Ja, auch das ist eine gute Nachricht. Sie ist viel geringer. Auch ihr Outcome ist deutlich besser. Dennoch muss man deutlich sagen, dass ein ganz erheblicher Teil der Patienten, die eine Behinderung erleiden, sein Leben nicht mehr so führen kann wie vorher.
Obwohl die Jungen den Schlaganfall in der Regel besser überstehen?
Ja, weil die Folgen für sie relevanter sind. Wenn ein junger Mensch aufgrund des Schlaganfalls zum Beispiel neuropsychologische Defizite wie Konzentrationsstörungen hat, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass er nie wieder auf dem Niveau arbeiten kann, das er vorher hatte. Bei einem 70-Jährigen fallen die gleichen Defizite vielleicht gar nicht so auf.
Gibt es dann überhaupt Präventionsmöglichkeiten?
Der klassische juvenile Schlaganfall ohne eine Art von Risikofaktor trifft die Menschen tatsächlich wie der Schlag. Er ist eine akute Erkrankung, die sich nicht vorhersehen lässt. Doch ab Anfang/Mitte 40 kommt es zu einem steilen Anstieg der kardiovaskulären Risikofaktoren. Hier muss man frühzeitig aktiv werden.
Herr Dr. Kellert, vielen Dank für das Gespräch.
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