Nicht alles persönlich nehmen

Gesundheitswissenschaftler Stefan Stricker kennt die Belastungen von Angehörigen. Im Interview spricht er über die psychischen Belastungen und Strategien, damit umzugehen.

  • Herr Stricker, welche Herausforderungen kommen auf Angehöre von Schlaganfall-Betroffenen zu?

In der akuten Phase geht es ihnen im Grunde wie den Betroffenen. Es ist eine Situation, auf die sie sich nicht vorbereiten konnten. Viele Angehörige stürzt der Schlaganfall in eine tiefe Krise. Ihre Lebensplanung wird infrage gestellt und sie stehen plötzlich vor einem Berg von Problemen.

 

  • Wo liegen konkret diese Probleme?

Da sind zunächst viele medizinische Fragen. Viele Menschen verstehen die Erkrankung nicht, vor allem ihre Folgen. Was muss organisiert werden für das Leben zuhause? Sind Pflege, Hilfsmittel oder Umbauten notwendig? Dann muss man geeignete Therapeuten finden. Und bei jüngeren Patienten geht es um den Wiedereinstieg in den Beruf, das können existenzielle Fragen sein.

 

  • Welche Ratschläge geben Sie Betroffenen in dieser akuten Situation?

Auch wenn scheinbar keine Zeit bleibt, sollten Angehörige sich zunächst auf die neue Situation vorbereiten und gut beraten lassen. Ein Verständnis der Krankheit ist ungemein wichtig für das weitere Leben.

 

  • An wen können sich Angehörige wenden?

Umfangreiche Informationen finden sie zunächst auf unserer Website. Gerade für eine erste Orientierung hilft oft auch ein Anruf in unserem Service- und Beratungszentrum. In einigen Regionen arbeiten wir mit Partnerbüros zusammen, dort kann man Termine vor Ort vereinbaren. Erste Ansprechpartner sind auch die Sozialdienste in den Kliniken.

 

  • Wie ergeht es Angehörigen in der Nachsorge, wenn die Patienten aus der Klinik entlassen werden?

Dann beginnt für sie häufig eine anstrengende Zeit mit vielen Belastungen. Sie müssen die Betroffenen, je nach Schädigung, körperlich unterstützen, teilweise pflegen. Oft sind sie die Fahrer, wenn es zu Therapie- oder Arztterminen geht. Ein Teil der Patienten leidet unter Sprachstörungen, in diesem Fall ist die Kommunikation erheblich erschwert. Und nicht selten müssen sie mit Persönlichkeitsveränderungen der Betroffenen umgehen lernen.

 

  • Was sind das für Veränderungen?

Depressionen nach Schlaganfall kommen häufig vor, die Betroffenen nehmen nur noch wenig am Alltagsgeschehen teil und werden antriebslos. Manchmal kommt es auch zu aggressivem Verhalten, weil sie ständig Dinge vergessen oder ihnen Begriffe nicht einfallen. Teilweise fehlt es einfach an Krankheitseinsicht, Betroffene und Angehörige schätzen die Situation vollkommen unterschiedlich ein. Das kann zu großen Konflikten führen.

 

  • Wie können Angehörige dieser Situation begegnen?

Zunächst sollten sie Konflikten nicht immer aus dem Weg gehen, um die Betroffenen zu schonen, sondern sie benennen und versuchen, mit ihnen gemeinsam Lösungen zu finden. Bei Anzeichen einer psychischen Erkrankung ist es wichtig, dass sich die Betroffenen therapeutische und fachärztliche Hilfe holen.

 

  • Und was können Angehörige für sich selbst tun?

Zunächst einmal sollten sie nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen und nicht alles persönlich nehmen. Persönlichkeitsveränderungen sind meist der Krankheit geschuldet, die Betroffenen können oft nichts dafür. Manche Äußerung ist vielleicht ganz anders gemeint, als sie wirkt. Ganz wichtig für Angehörige: Sie sollten weiter eigenen Interessen nachgehen, auch wenn vielleicht weniger Zeit bleibt, Hobbies weiterführen und Kontakte pflegen. Niemandem ist geholfen, wenn Angehörige sich in einer solchen Situation aufopfern und dabei selber Schaden nehmen.

 

  • Gibt es Möglichkeiten der Entlastung?

Ja. Wenn ein Pflegegrad vorliegt, greifen die Regelungen der Pflegeversicherung. Darüber hinaus gibt es in immer mehr Regionen ausgebildete, ehrenamtliche Schlaganfall-Helfer, die im Alltag entlasten können. Auch die Mitgliedschaft in einer Selbsthilfegruppe kann hilfreich sein. Dort finden auch die Angehörigen ein Forum zum Austausch.

 

  • Was empfehlen Sie Angehörigen bei sozialrechtlichen Fragen?

Ein offenes Ohr haben immer die Beraterinnen in unserem Servicezentrum. Alle zwei Wochen bieten wir auch telefonische Expertensprechstunden. Bei komplexen rechtlichen Angelegenheiten empfehle ich immer, sich an den VdK oder den SoVD zu wenden. Die Sozialverbände bieten eine fundierte Rechtsberatung.

 

Herr Stricker, vielen Dank für dieses Gespräch.