Woran erkenne ich einen Neglect?
Neglect ist wahrscheinlich die faszinierenste und am schwersten zu verstehende Folge eines Schlaganfalls. Ein Neglect ist eine Aufmerksamkeitsstörung. Der Betroffene vernachlässigt dabei eine Körperhälfte. Er nimmt Sinnesinformationen auf dieser Seite nicht mehr wahr, obwohl die Augen oder anderen Sinne funktionieren. Das kann verschiedene Sinne betreffen. Außenstehende bemerken dies meist schnell im Alltag, meist noch auf der Akutstation. Der Betroffene selbst hingegen bemerkt seine Einschränkungen häufig nicht.
Patientinnen und Patienten vernachlässigen oder übersehen zum Beispiel Dinge – meist auf der linken Seite. Es ist kein Gesichtsfeldausfall, aber die Aufmerksamkeit und Wahrnehmung des Raumes und des eigenen Körpers hat sich dahingehend verändert, dass Informationen auf dieser Seite zwar aufgenommen, jedoch nicht verarbeitet werden. Häufig sind mehrere Sinneswahrnehmungen gestört:
- Der visuelle Neglect
Der visuelle Neglect ist die häufigste Form. Die Betroffenen vernachlässigen eine Hälfte der räumlichen Umgebung – meistens die linke. Sie essen nur eine Hälfte des Tellers leer, stoßen sich häufig an Türrahmen oder haben Probleme beim Lesen oder dem Ablesen der Uhrzeit. Die Orientierung kann schwerfallen, weil der Hinweg für die Betroffenen anders aussieht als der Rückweg.
- Der personale Neglect
Bei dieser Form nehmen die Betroffenen eine Körperhälfte nicht mehr wahr. Es kommt vor, dass sie diese Köperhälfte zum Beispiel nicht mehr waschen, rasieren oder schminken.
- Der akustische Neglect
Die Betroffenen haben unter anderem Probleme, Geräusche zu lokalisieren, da sie Geräusche, Töne oder Stimmen auf einer Seite nicht bemerken. Sie reagieren nicht, wenn Geräusche von dieser Seite kommen.
- Der somatosensible Neglect
Die sensorischen Reize (zum Beispiel Berührung) werden auf der betroffenen Körperhälfte nicht wahrgenommen. Dies wird vor allem problematisch, wenn auch Schmerzen ausgeblendet und Verletzungen dadurch nicht wahrgenommen werden.
- Der motorische Neglect
Beim motorischen Neglect werden der Arm und/oder das Bein der betroffenen Seite nicht vollständig eingesetzt. Die Patienten greifen zum Beispiel nur mit einer Hand zu einem Objekt, obwohl die andere theoretisch einsetzbar wäre und nicht gelähmt ist. Beim Laufen oder Treppensteigen wird häufig ein Bein hinterher gezogen.
Wodurch entsteht ein Neglect?
Ein Neglect entsteht vor allem, wenn es durch eine Hirnverletzung zu Schädigungen meist auf der rechten Seite im hinteren, oberen Bereich des Gehirns kommt (Parietallappen) bzw. im Übergang zum vorderen, unteren Bereich (Temporallapen). Dieser Bereich im Gehirn ist wichtig für die Steuerung der Aufmerksamkeit. In 85 Prozent der Fälle liegt eine Schädigung auf der rechten Hirnhälfte vor, so dass die linke Seite vernachlässigt wird.
Kann ein Neglect unterschiedlich stark ausfallen?
Ein Neglect kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein sowie einen oder mehrere Sinne gleichzeitig betreffen. Je mehr Sinne betroffen sind, desto schwieriger wird es, die Aufmerksamkeit auf die Betroffene Seite zu lenken.
Kann sich ein Neglect zurückbilden?
Ja, tatsächlich bildet er sich in vielen Fällen teilweise oder vollständig noch während der Akutphase zurück. Bei etwa einem Drittel der Betroffenen bleibt der Neglect auch später beziehungsweise dauerhaft bestehen. Wichtig ist, dass der Betroffene einsichtig ist, Einschränkungen zu haben. So können die Betroffenen mithilfe von Neuropsychologen, Ergotherapeuten und Angehörigen Strategien erlernen, die Wahrnehmung für die betroffene Seite gezielt zu schulen.
Kann ein Neglect weitere Folgen haben?
Je nach betroffener Sinneswahrnehmung und Schwere des Neglects kann sich dieser auf den Alltag der Betroffenen auswirken. Es besteht Verletzungsgefahr, wenn Gegenstände auf einer Seite nicht wahrgenommen werden – und die Gefahr steigt, wenn Verletzungen nicht gespürt werden. Die Teilnahme am Straßenverkehr – egal, ob als Fußgänger, Radfahrer oder Autofahrer – ist erschwert oder sogar unmöglich, wenn andere Verkehrsteilnehmer übersehen oder überhört werden. Die Selbstständigkeit im Alltag ist eingeschränkt, wenn die Betroffenen zum Beispiel nur noch eine Körperseite wäscht, kämmt oder rasiert.
Quellen:
- ratgeber-neuropsychologie.de