Schlaganfall mit 29
„Ein Neurologe würde vielleicht sehen, dass ich einen Schlaganfall hatte. Meine Hand funktioniert nicht mehr ganz so, wie sie sollte. Die meisten Menschen merken nichts. Ich laufe normal, ich spreche normal. Und trotzdem musste ich in Rente gehen. Das ist für Außenstehende schwer nachvollziehbar. Am Anfang wollte ich das ja selbst nicht wahrhaben. 2009 hatte ich meinen ersten Schlaganfall. Aus dem Nichts. Ich war 29 Jahre alt, sportlich, Nichtraucher. Kurzzeitig hatte ich Lähmungserscheinungen auf der rechten Seite, aber die waren schnell wieder weg. Die möglichen Ursachen: ein Loch im Herzen, eine Stoffwechselstörung, ein Gendefekt. Sicher weiß ich das bis heute nicht.
Und dann kam der dritte Schlaganfall
Ein Jahr später fiel plötzlich meine linke Seite aus, aber auch die war nach ein paar Wochen wieder funktionstüchtig. Die Dosierung meiner Medikamente wurde erhöht, trotzdem kam 2012 der dritte Schlaganfall. Auch der ist wieder glimpflich abgelaufen. Das dachte ich zumindest. Doch dieses Mal bin ich neuropsychologisch untersucht worden. Das Ergebnis war niederschmetternd. Ich habe bei allem schlecht abgeschnitten, von der Konzentration bis hin zum logischen Denken. Außerdem hatte ich Gesichtsfeldeinschränkungen. Deswegen habe ich vier Wochen lang eine Tagesklinik für kognitive Rehabilitation besucht. Das Gesichtsfeld war schnell wieder normal, also habe ich nach der Reha wieder angefangen, zu arbeiten.
Eine Weile konnten die Defizite überspielt werden
Da begannen die Probleme. Ich konnte mich kaum noch konzentrieren, habe immer mehr Fehler gemacht. Da ich mein Wissen von früher nutzen konnte, konnte ich meine Defizite eine Weile überspielen. Irgendetwas neu zu lernen oder zu merken war extrem schwierig. Bei der Arbeit am PC-Bildschirm habe ich nach kurzer Zeit alles nur noch verschwommen gesehen. Von der Arbeit im Großraumbüro war ich völlig überfordert. Alles war mir plötzlich zu laut, zu voll, zu viel. Mein Gehirn ist wie ein Computer, der abstürzt. Ab einem gewissen Punkt kann ich keine Informationen mehr verarbeiten kann. Das Schlimme ist, dass ich selbst oft gar nicht gemerkt habe, dass ich alles vergessen habe – schließlich hatte ich es ja vergessen! Meinen Kollegen ist das natürlich aufgefallen und sie haben sich darüber aufgeregt. Nach zwei Jahren ging es nicht mehr, ich habe einen Aufhebungsvertrag unterschrieben bin nochmal in eine Reha gekommen.
Mit 39 in Rente...
Ein weiterer Wiedereingliederungsversuch ist gescheitert, also bin ich jetzt in Rente. Therapien hatte ich seither nicht mehr. Meine Krankenkasse hat versucht, einen ambulanten Neuropsychologen zu finden, aber rund um Chemnitz gibt es wohl keinen. Im Alltag organisiere ich mich inzwischen ganz gut über Zettel. Alles, was wichtig ist, schreibe ich auf und platziere es an Orte in der Wohnung, an denen ich oft vorbeikomme – zum Beispiel am Kühlschrank.
Bis heute kann ich nicht nachvollziehen, warum eine neuropsychologische Testung bei Schlaganfall-Betroffenen nicht standardmäßig gemacht wird. Wer offensichtlich wieder gesund ist, wird einfach ohne Reha entlassen. Obwohl ich selbst in einem Sanitätshaus gearbeitet habe, war mir vorher nie bewusst, dass ein Schlaganfall so massive unsichtbare Folgen haben kann.
Das Unverständnis der anderen
Dass ich als augenscheinlich fitter 39-jähriger Mann in Rente bin, sorgt oft für Unverständnis, sogar bei einigen meiner Freunde. Früher war ich für jeden Spaß und jede Party zu haben, jetzt wird mir das alles zu viel. Ich bleibe lieber zu Hause meine Ruhe als um die Häuser zu ziehen. Das macht es schwer, die alten Freundschaften aufrecht zu erhalten. Manchmal sage ich „Am wohlsten fühle ich mich in der Klinik.“ Das kann keiner nachvollziehen, aber der Grund ist ganz einfach: Im Krankenhaus oder einer Rehaklinik versteht jeder, was ich habe. Da muss ich mich niemandem erklären.“
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