Ich musste mich konzentrieren
„Neulich war ich mit Freunden essen, es gab ein Buffet. Das war für mich eine absolute Reizüberflutung. Meine Freunde bedienten sich schnell und gingen zurück an den Tisch. Plötzlich stand ich alleine am Buffet. Das Restaurant war groß, voll und laut. Ich musste mich konzentrieren, den Teller nicht fallen zu lassen. Ich musste mich konzentrieren, selbst nicht hinzufallen. Und ich musste mich konzentrieren, unseren Tisch wiederzufinden. Für mich war das so schlimm, dass ich eine Panik-Attacke bekommen habe.
Das ist eine Situation, die Außenstehende gar nicht nachvollziehen können. Ich mache daraus niemandem einen Vorwurf. Wahrscheinlich hätte ich es früher auch nicht nachvollziehen können, warum jemand Panik bekommt, weil er im Restaurant mal eine Minute alleine ist. Heute wünsche ich mir, dass die Menschen in meinem Umfeld die Welt einen Tag lang durch meine Augen sehen könnten.
Im Urlaub ins Krankenhaus
Der Schlaganfall ist jetzt ein Jahr her. Meine Freundin und ich waren gerade auf einer vierwöchigen Rundreise durch Asien. Myanmar, Kambodscha, Laos, Thailand. Die Landschaft, die Kultur – es war alles wunderschön. Allerdings hatten wir beide nacheinander mit einem Magen-Darm-Infekt zu kämpfen. Das kannte ich von mir selbst zwar nicht, ist aber auf solchen Reisen nicht unüblich. Zum Abschluss haben wir uns ein schönes Hotel und eine Thai-Massage in Bangkok gegönnt. Kurz vor der Abreise habe ich einen schweren Infekt bekommen. Mir ging es so schlecht, dass meine Freundin mich ins Krankenhaus gebracht hat. Ich dachte, ich komme für ein paar Stunden an den Tropf und dann ist alles wieder gut. Doch so kam es nicht. Meine Hände begannen zu kribbeln und wurden taub.
Die Ursache für die drei Schlaganfälle ist bis heute nicht geklärt
Meine Freundin erkannte mich am nächsten Tag kaum wieder. Alle schoben die Anzeichen auf den schlimmen Infekt. Doch mein Zustand wurde immer schlechter. Tage später entschieden sich das ärztliche Fachpersonal, ein MRT zu machen. Das Ergebnis: mehrere Schlaganfälle. Eine Behandlung war aufgrund der Einblutung nicht möglich, mehr als eine Woche lang lag ich auf der Intensivstation, insgesamt drei Wochen im Krankenhaus. Meine Mutter nahm den nächsten Flug nach Thailand, meine Freundin reiste schweren Herzens ab. In Begleitung einer deutschen Ärztin konnte ich schließlich zurück nach Deutschland fliegen. Der Auslöser für die mehrfachen Schlaganfälle ist bis heute nicht geklärt. Vielleicht hat die schwere Infektion dazu beigetragen, vielleicht die ruppige Thai-Massage – das werde ich wohl nie wissen.
Bei vielen Alltagshandlungen auf Hilfe angewiesen
Die Zeit danach war unglaublich hart. Ich war völlig durch den Wind und wollte nur noch nach Hause und wieder arbeiten. Ich habe überhaupt nicht verstanden, was passiert ist. Das Ausmaß der Schlaganfälle habe ich nicht begriffen – und kann es eigentlich auch heute, ein Jahr später, nicht. Das ganze Leben ist von einer Sekunde auf die andere aus den Fugen geraten. Nach zwei Monaten Reha konnte ich „Willi“ endlich zurücklassen. So hatte ich meinen Rollstuhl getauft. Doch viele Einschränkungen sind geblieben, trotz aller Therapien und harter Arbeit.
Auf der rechten Seite ist das Temperaturempfingen gestört, links habe ich wenig Kraft, Schwierigkeiten mit der Motorik und ich zittere manchmal unkontrolliert. Bis heute torkele ich beim Laufen und mir wird oft schwindelig. Dann sehe ich aus, als sei ich betrunken. Mein Arm funktioniert nicht richtig, so dass ich bei vielen Alltagshandlungen auf Hilfe angewiesen bin.
Der Schlaganfall hat nicht nur körperliche Folgen hinterlassen
Inzwischen weiß ich, dass der Schlaganfall nicht nur körperliche Folgen hinterlassen hat. Dass das Kurzzeitgedächtnis nicht mehr funktioniert wie früher, fiel mir erst auf, als ich nach der Reha wieder selbst meinen Alltag organisieren musste – Anträge verstehen, sich mit Ärzten, Therapeuten oder Mitarbeitern von Ämtern auseinandersetzen. Das ist unglaublich schwierig, weil ich mich im Moment noch kaum länger als fünf Minuten konzentrieren kann. Ich bin dankbar, dass meine Familie mir immer hilft.
Alles, was früher normal war, wurde nach dem Schlaganfall zur Herausforderung – sogar, Freundschaften zu pflegen. Ich hatte gute Freunde, zum Teil aber weit verteilt. Deswegen war es für mich selbstverständlich, am Wochenende irgendwo hin zu fahren und irgendjemanden zu besuchen. Das geht nicht mehr. Viele Kontakte sind abgebrochen. Zum einen, weil die anderen Scheu haben, über die Situation zu sprechen. Zum anderen, weil es schwierig ist, anderen die eigene Situation verständlich zu machen.
Meine körperlichen Einschränkungen sind offensichtlich, aber niemand sieht mir an, was sich sonst noch verändert hat. Das kann ich ja selbst bisher kaum fassen. Ich weiß, dass ich mir selbst noch Zeit geben muss.
Ich werde jeden Tag weiter dafür kämpfen, wieder eigenständig zu werden. Meine Ziele sind ganz klar: Auto fahren und arbeiten gehen.“
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