„Der Kampf ist nie vorbei. Immer wenn ich denke, ich hätte ein Problem hinter mir gelassen, taucht ein neues auf. Aktuell will das Versorgungsamt meinen Grad der Schwerbehinderung von 70 Prozent auf 30 Prozent herunterstufen. Das macht für mich einen riesigen Unterschied, denn mit 30 Prozent wäre ich Menschen ohne Behinderung rechtlich wieder gleichgestellt. Viele Punkte, wie zum Beispiel die Steuererleichterungen, spielen kaum eine Rolle. Aber für mich als Arbeitnehmer wäre das furchtbar: Ich würde meinen Kündigungsschutz verlieren und könnte nicht – wie mit 70 Prozent – zwei Jahre eher in Rente gehen. Dass die Schwere meiner Behinderung nach so einem schweren Schlaganfall, wie ich ihn hatte, von einem Amt infrage gestellt wird, ist für mich schwer zu begreifen.
Nach meinem Schlaganfall konnte ich weder laufen noch sprechen.
Der Schlaganfall hat mich völlig aus der Bahn geworfen. Ich bin Ingenieur, habe bei einem großen Unternehmen 40 Teammitarbeiter geleitet. Für mich war es normal, fit zu sein, viel zu arbeiten und viele Dinge gleichzeitig zu erledigen. Nach meinem Schlaganfall konnte ich weder laufen noch sprechen. Jeden Schritt, jedes Wort habe ich mir mühsam zurückerobert. Nach 16 Monaten habe ich wieder angefangen zu arbeiten. Ein tolles Gefühl und ein Meilenstein, auch wenn ich nicht mehr auf meinen früheren Posten zurückkehren konnte. Jetzt arbeite ich halbtags als Assistent eines Projektleiters.
Ich will arbeiten
In den ersten Monaten nach dem Schlaganfall war es vor allem wichtig, dass ich wieder auf die Beine komme und kommunizieren kann. Bei der Arbeit ist mir erst wirklich klargeworden, was der Schlaganfall noch alles verändert hat. Ich bin schnell damit überfordert, wenn ich viele Sachen gleichzeitig erledigen muss. Es geht nur eins nach dem anderen. Meine Kollegen wissen das und nehmen Rücksicht darauf. Ich weiß, dass ich mit meinem Arbeitgeber und meinen Teammitgliedern großes Glück habe.
Die wenigsten Schlaganfall-Patienten, die so schwer betroffenen waren wie ich, schaffen es wieder ins Arbeitsleben. Deswegen ist mir auch die Anerkennung meiner Schwerbehinderung und mein Kündigungsschutz so wichtig. Ich will arbeiten und nicht bei der nächsten Umstrukturierung um meinen Job bangen müssen. Bei einem anderen Unternehmen hätte ich doch keine Chance mehr.
Die Therapie geht weiter
Für mich geht der Kampf auch nach vier Jahren noch weiter. Jeden Tag. Ich habe immer noch sechs Therapieeinheiten pro Woche. Einen Teil davon übernimmt die Krankenkasse, einen Teil zahle ich selbst aus meinem Ersparten, meiner Altersvorsorge. Da der nächste Neuropsychologe zu weit von uns entfernt ist, versuche ich meine kognitiven Fähigkeiten so gut es geht mit der Ergotherapeutin zu trainieren. Für das Versorgungsamt spielen die kognitiven Einschränkungen offenbar keine Rolle, obwohl sich das therapeutische Fachpersonal einig ist, dass meine Schwerbehinderung weit über 50 Prozent eingestuft werden müsste.
Ich habe jemanden, der an meiner Seite steht
Ich bin so froh, meine Frau an meiner Seite zu haben. Sie hilft bei den Anträgen, legt Widersprüche ein, informiert sich bei Rechtsanwälten. Das würde ich nicht mehr alleine schaffen.
Das ist die Krux: Früher hätte ich das alles organisieren können. Nach dem Schlaganfall bin ich damit überfordert – dabei wäre es nie wichtiger gewesen, sich in so viele neue Dinge einarbeiten zu können. Mir tun Betroffene wirklich leid, die niemanden haben, der an ihrer Seite steht. Es ist so wichtig, dass die Menschen verstehen, dass ein Schlaganfall so viel mehr verändert als von außen sichtbar ist.“
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