Wir können uns lebenslang verbessern

Was macht gute Therapie aus? Worauf sollten Patientinnen und Patienten achten? Und welche Perspektiven erwarten sie? Unser Interview mit Sabine Lamprecht.

Sabine Lamprecht ist seit 40 Jahren Physiotherapeutin, hat ihren Master of Science in der Neurorehabilitation gemacht. Sie war Therapeutische Leitung in verschiedenen Kliniken, bildet Therapeuten aus und fort und hat mit ihrer Familie in Kirchheim unter Teck eine große interdisziplinäre Praxis für Neurorehabilitation aufgebaut. Mario Leisle sprach mit ihr.

 

Wir können uns lebenslang verbessern

Im Interview:
Sabine Lamprecht
Geschäftsführerin der interdisziplinären Praxis HSH Lamprecht Praxis

  • Frau Lamprecht, in Ihrer Praxis arbeiten drei Disziplinen unter einem Dach. Wieso?

Unser Herz schlug schon immer für die Neurorehabilitation, und beim Schlaganfall brauchen wir dringend alle drei Professionen. Ich habe viel von Ergotherapeuten gelernt und lerne viel von Logopäden, auch ein Neuropsychologe kommt konsiliarisch zu uns. 

  • Wie sieht die interdisziplinäre Zusammenarbeit aus? Und wie profitieren Patienten davon?

Ich biete den Patienten Beratungsgespräche an, da schauen wir ganzheitlich, wo der therapeutische Bedarf liegt. Dafür sind viele sehr dankbar. Und einmal pro Woche gibt es eine Patientenvorstellung im interdisziplinären Team. Da geben alle Professionen neue Impulse. Die strikte Aufteilung zwischen Physio und Ergo gibt es so bei uns nicht mehr, die Aufgaben durchmischen sich zunehmend.

  • Woran erkennen Patienten gute Therapeuten?

Für Laien ist das schwierig. Therapeuten haben meist ein Helfersyndrom, wir sind nett und hilfsbereit. Daraus schließen viele Patienten schon, dass das sicher in Ordnung ist, was wir machen. Aber ich sehe, dass wir in der Ausbildung teilweise weit hinter den wissenschaftlichen Leitlinien herhinken. Man kann sicher mal die Frage stellen, ob sich die Therapie an einer Leitlinie orientiert, oder zumindest nach einem Therapieplan fragen. 

  • Und bei den Übungen?

Am wichtigsten ist: Wenn Schlaganfall-Patienten passive Therapien erhalten, mag das schön für sie sein, aber es ist nicht gut. Aktive Therapien, die sich an ihren Zielen orientieren, sollten es sein. Ganz simpel: Wer gehen will, muss gehen, wer greifen will, muss greifen, wer sprechen will, muss sprechen.

  • Interdisziplinäre Zentren wie Ihres sind noch die Ausnahme in der ambulanten Versorgung. Worauf sollten Patienten bei der Auswahl ihrer Praxis achten?

Grundvoraussetzung sollte sein, dass die Praxis Erfahrung in der Neurorehabilitation hat. Neben der Qualifikation der Therapeuten würde ich auf die Ausstattung achten, obwohl die nicht alles ist. Patienten in der Gangrehabilitation würde ich zum Beispiel empfehlen, nach einem Laufband zu fragen.

  • Wie wichtig ist das Eigentraining in der Rehabilitation?

Enorm wichtig! Der Therapeut ist der Coach, aber die Verantwortung liegt beim Patienten, das schließt das Eigentraining ein. Er muss etwas finden, was er alleine machen kann. Im Alltag gibt es viele Trainingsmöglichkeiten, je einfacher, desto besser. Wichtig ist, dass Therapeuten die Patienten dabei anleiten 

  • ...und motivieren?

Richtig. Da wissen wir, dass allein das Nachfragen schon viel bringt. "Haben Sie geübt? Wie viel haben Sie denn gemacht?" Ein Lob bestärkt die Patienten oder wenn es nicht so gut klappt, den Patienten miteinbeziehen: "Lassen Sie uns mal gemeinsam überlegen: Wie könnten Sie es denn schaffen?" Das alles ohne Vorwurf und erhobenen Zeigefinger, den Patienten vielmehr dabei begleiten, das gehört zur Aufgabe eines Therapeuten. Auch daran erkennt man seine Qualifikation.

  • Wie lange macht Therapie Sinn?

Das Wort "austherapiert" gibt es im Grunde nicht. Am Anfang versucht man, möglichst viel zu verbessern. Das wird später weniger. Je chronischer die Behinderung wird, desto mehr muss man die Kompensation trainieren. Auch mit Einhändertraining und Hilfsmitteln kann man ein selbstbestimmtes Leben führen. Aber wir können uns lebenslang verbessern, auch in der Aphasie-Therapie gibt es dafür gute Nachweise. Das sollten Patienten wissen.


Herzlichen Dank für dieses Gespräch!